Daniel Goral                          Seminar

 

Im Seminarraum raunt es indolent.

Zwei Mädchen tuscheln sich die Köpfe rot.

Dem Grund dafür, Adonis, brennt der Sod.

Vorn krächzt ganz ohne Kopf ein Referent.

 

Der Zeitungsleser raschelt konsequent.

Und jemand schläft und schnarcht wie ein Despot.

Ein andrer beißt beherzt ins Käsebrot.

Adonis pupst – und lächelt sehr dezent.

 

Dann schließt der Referent. Die Meute schmunzelt.

Ein Püppchen geht charmant und schön zur Tür;

indes die Weiblichkeit die Stirne runzelt.

 

Vom Dach gurrt eine Taube sehr emphatisch.    

Nur der Dozent erfasst das mit Gebühr.

Die Zeit ist rum. Er grinst fast akrobatisch.

 

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                          Einkauf

 

Auch Kassenfrauen mimen mir Helenen,

weil Eleganz mit Kühle mich entzückt.

Ihr Anblick hat mich schon seit je entrückt,

sie wirken ähnlich Himmelsphänomenen.

 

Ich schätze sie! Vor Gönnern und Mäzenen.

Im Traum hab ich mit Blüten sie geschmückt.

Die Kassenfrau hat mich schon oft beglückt.

Sie ist ein Weib, nach dem sich Götter sehnen.

 

Und wie sie zupackt! Resolut! Gesund!

Kein Lächeln irritiert, sie tippt nur fleißig.

Ein fetter Amor schießt mich grinsend wund.

 

Mein Herz ist perforiert, die Hände schweißig

Was gäbe ich für ihren Marmormund!

Sie spricht mich an! Sie sagt!: ... 12,36.

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                          Entelechie

 

Nicht lange und mein Name zeugte Staunen.

Er könnte morgen in der Zeitung sein.

Ich tauchte einfach tiefer in den Wein

und lauschte, was die Musen zu mir raunen.

 

Ich würde Unsagbares ausposaunen,

Geheimes opfern auf dem Opferstein

der Leserschaft, und dann, im nachhinein,

bekäme ich die Fanpost an die Daunen ...

 

Ich trüge auch Apollon seine Leier,

wenn ich nicht wüsste, dass der Wecker schrillt –

da hilft auch nicht der Ruf der Biographen.

 

Und nicht mal der von Metro-Goldwyn-Mayer.

Die Möglichkeit wird müde, still und mild.

Bis morgen! Es ist spät. Ich gehe schlafen.

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                                  FRAU K.

 

Frau K. will f., sie zeigt mir ihre Beine.

Und nicht nur das: Sie wackelt mit dem Sterz!

Sind wir zu zweit, zeigt sie mir sehr viel Herz,

erzählt mir auch, wie bitterlich sie weine.

 

Denn nachts drückt sie die Kissen ganz alleine.

Sie sagt, das sei ein tiefer, großer Schmerz.

Und hitzig öffnet sie den falschen Nerz

und wirbt mit ihrer Wollust um die meine.

 

Frau K. ist fix in solchen Augenblicken.

Doch nie lädt sie zu sich – und das spricht Bände.

Sie kann nicht stricken, weder Schals noch Socken.

 

An ihrer Kochkunst kann man leicht ersticken.

Und wen erquicken schon zwei linke Hände!

Frau K. will f., da bleibt kein Auge trocken.

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                                  HEITERKEIT

 

für M. Schmarander mit besten Grüßen an Nikolaus Lenau

 

Das Hemd ist frisch, die Ärmel voll mit Assen.

Die Zunge schlank, es jauchzen kess die Verben.

Von deinem Frohsinn wirst du viel vererben,

nur volle Flaschen willst du hinterlassen.

 

Und selbst dem Schicksal schneidest du Grimassen.

Und Gegnern weißt du ihre Haut zu gerben.

Und du schnitzt in dein Lieblingsthema Kerben.

Und wenn du böse bist, kannst du nicht hassen.

 

Das Essen scheint dir äußerst leicht verdaulich.

Und niemand kommt zu spät, es drückt kein Schuh.

Sogar die Zeitung wirkt auf dich erbaulich.

 

Auch Venus schenkt dir heute ihr Vertrauen,

sie flüstert dir ein Glücksgeheimnis zu:

Die ganze Welt ist voll mit schönen Frauen!

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                                  WAS DU SOLLST

 

Du sollst Vater, Chef und Mutter ehren.

Du sollst öfter dir die Hände waschen.

Du sollst niemals fremde Röcke haschen.

Du sollst Wechsler aus dem Tempel kehren.

 

Du sollst Hab und Glück und Futter mehren.

Du sollst liebevoll dein Weib vernaschen.

Du sollst Liebende nicht überraschen.

Du sollst tapfer sein, dich nie beschweren.

 

Du sollst wollen, was die andern hoffen.

Du sollst was nur du willst niemals wollen.

Du sollst dreinschau’n, wenn es passt, betroffen.

 

Du sollst dich, wo du nicht sein sollst, trollen.

Du sollst höflich bleiben, selbst besoffen.

Du sollst eins vor allem – du sollst sollen.

 

 

 

 

Daniel Goral                          AMTSANTRITT (spätabends)

 

Ich schwöre treu und redlich euch zu dienen.

Ich schwöre nie das Dach uns anzuzünden.

Ich schwöre stets den Glauben zu verkünden.

Ich schwöre festen Kurs, trotz Serpentinen.

 

Ich schwöre Blütenstaub statt Bauruinen.

Ich schwöre eine Kommission zu gründen.

Ich schwöre Amnestie bei unsern Sünden.

Ich schwöre mir ist heut der Herr erschienen.

 

Ich schwöre die Partei nie zu beklauen.

Ich schwöre Perfektion, sogar beim Zechen.

Ich schwöre zweiunddreißig Mal zu kauen.

 

Ich schwöre! Das ist mehr als ein Versprechen.

Ich schwöre feierlich: ihr könnt mir trauen.

Ich schwöre jeden Eid für euch zu brechen.

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                                  AUF EINE FÖRDERIN

 

Bin ich Minister oder Haruspex,

dass Du mich protegierst, auf dass ich schwitze?

Für unsre Zukunft zucken keine Blitze

und mein Talent taugt nicht zum Pontifex.

 

Du hältst mein Bild in Ehren, ich befleck’s,

denn mein Bild ist bewegt und deines Skizze.

Und all Dein Lob küsst nur des Messers Spitze,

doch Hunde küssen nicht, sei hündisch, leck’s!

 

Sei hündisch, denn du streunst durch mein Revier.

Ich heb das Bein an Sockeln und an Mauern

und schlinge Opfergaben ohne Zier.

 

Und will ich deines Geistes Kinder fressen,

wirf sie mir hin – und wenn auch mit Bedauern.

Sei Muse! Gönnerinnen sind vergessen.

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                                  DER HAGESTOLZ

 

Er unterhält mit kecken Anekdoten

und glänzt weithin durch Kenntnis der Geschichte.

Er isst am liebsten Mutterns Hausgerichte

und trägt am Kragenhemd den Kellnerknoten.

 

Die Zeitgenossen scheinen ihm Chaoten,

mitunter heißt er sie auch zärtlich Wichte.

Und ist sein Weltbild auch von höchster Dichte,

der Gattung nach zählt er zur stets bedrohten.

 

Teilt er die Bank mit andern und die Sonne,

dann liest er Zeitung, um nicht viel zu reden.

Das Nasebohren schafft ihm Luft und Wonne.

 

Nur manchmal, wenn ihn lange Nächte plagen,

dann fröstelt ihn, trotz seiner schönsten Fehden.

Dann zittert er. Nur wem soll er das sagen.

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                                  ÖKONOMIE

 

Gelobe was zuviel erscheint zu streichen.

Und lockt der Hunger dich, dann iss geschwind.

Hör auf, wo jeder andere beginnt.

Erkläre, wenn es schneller geht, durch Zeichen.

 

Sei überall und immer zu erreichen.

Doch grüßt ein Niemand dich, dann stell dich blind.

Den Weg zum Klo bewältige im Sprint.

Und sammle bloß im Keller keine Leichen!

 

Vor allem: liebe, hasse, sei: platonisch.

Gib nie zuviel, ob Zaster, Kraft, ob Zeit.

Um alles in der Welt: bleib ja lakonisch.

 

Verspricht es etwas, sei auch gerne komisch.

Verblüff im Lotterbett durch Sachlichkeit.

Und wenn du lieben musst, dann ökonomisch.

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                                  SPÄTES MÄDCHEN MIT WOLKEN

 

Er liebt mich, liebt mich nicht – sie zählt die Daunen.

Die Decken drücken an den falschen Stellen.

Sie hastet durch romantische Novellen,

schläft nur noch nackt und hätschelt ihre Launen.

 

Ihr Ohr berührt die Wand, es hört nur Raunen.

Sie wacht im Bett, bis spät bei leisem Schellen

des Nachbarn Seufzer ihr die Nacht erhellen.

Dann stöhnt sie larmoyant und träumt von Faunen.

 

Erwacht sie tags und sieht die Wolken wallen,

wie alles draußen lockt und liebt und lacht,

zieht sie die Fenster zu und es wird Nacht.

 

Der Morgenmantel fällt, die Stunden fallen.

Sie nippt am Wein, französisch und gereift,

als ihre Hand wie Wind die Hügel streift ...

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                                  MINUTENSONETT

(Geschrieben in weniger als drei Viertelstunden, während ich auf den Freund wartete, der mir vorgeschlagen hatte, mir die Zeit des Wartens durch das Schreiben eines Sonetts zu verkürzen.)

 

In einer Stunde ein Sonett zu schreiben,

mit Witzchen, mit Gewürz, mit Hand und Fuß,

vielleicht noch mit paar Takten Alltagsblues,

bei dem die Fräuleins sich die Ohren reiben?

 

Bei dem im Hals die Happen stecken bleiben?

Das scheint mir doch bloß unnütz und abstrus,

nur eitles Verseschustern, Dichterschmus,

Poetisch überspanntes Faschingstreiben.

 

Allein der Zeitdruck macht noch keinen Meister.

Und dem Genie peitscht düstrer Spuk den Nacken,

wenn auch Bewunderung beseelt die Geister.

 

So ist es Fingerübung, Dichtung nicht,

drei Viertelstunden langes Worte packen,

ganz ohne Anspruch, Intention, Gewicht ...

 

 

 

 

 

Daniel Goral                         PREISVERLEIHUNG

 

Ein Künstler, unverbogen, mit Gespür

für Zeitgeist – und schaut seine schönen Locken!

Sein Werk: so tief und neu und unerschrocken,

es ist gewiss kein Preis zu groß dafür.

 

Applaus bricht los, der Pflichtteil und die Kür,

der Laureat bleibt nun nicht länger hocken,

die Stirne glänzt, sein Rachen gobisch trocken,

er tappt zum Rednerpult und sieht zur Tür.

 

„Juroren! Diese Ehre lässt mich schwindeln!“

Vor Rührung steigt die Stimme ins Falsett.

Das Lob ist ihm was einst Dornröschen Spindeln.

 

Der Künstler balzt und dankt getreu dem Kodex

und unter Beifall schwankt er ins Parkett.

Dort senkt sich elegant sein Ehrenpodex.

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                                  PARKIDYLL

 

Die Bank liegt gut – die Damen defilieren,

ob blond, ob rot, die glatten wie die krausen.

Verlockung und Entzücken alternieren

und über Blüten sieht man Dackel sausen.

 

Es schwitzt auf seiner Bank, im Duft von Flieder,

Assessor Griesgram, reichlich angegraut,

linst nach der Damen Dekolletee und Glieder.

Der Stadtpark ist ihm so wie nichts vertraut.

 

Seit jeher lehrt die Bank der Hast das Grausen.

Die Hummeln brummen, Kinder schlabbern Brausen.

Und wenn die Sonne scheint muss niemand frieren.

 

Hier konnte man des Nachts mit Frauen schmausen,

sich gramgedrängt das lichte Haupthaar zausen

und einst in aller Frühe duellieren.

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                                  DER SCHLUMICH

 

Ist er ein Schlemihl, Schlingel, ein Schlawiner?

Ein Tunichtgut, Halunke oder Lump,

der nix im Deez hat, säuft und frisst auf Pump?

Vielleicht auch Zaster hat? Ein Großverdiener?

 

Ist er ein Sachse, Schlesier, ein Berliner?

Ein Knirps, ein Lulatsch? Pfiffig oder tumb?

Ein Jesus, der die Wechsler haut zu Klump?

Ein Priester, Ajatollah, ein Rabbiner?

 

Was weiß denn ich! Der Kerl macht mich ganz kirre!

Mein Denken ist ein schlumisches Geschwirre.

Das Wort allein wird mir schon bunt und blumig.

 

Glaub nicht, dass ich sein Rätsel noch entwirre,

er führt mich doch nur pfiffig in die Irre.

Pass auf! Am Ende bist du selbst ein Schlumich ...

 

 

 

 

 

 

Daniel Goral                                  SCHLECHTE ZEITEN FÜR STADTROMANTIKER

 

Ich liebe die urbanen Abendstunden,

auf dem Balkon zu sitzen und zu rauchen,

wenn Schwalben kreischend kreisen, Käfer krauchen,

der Händler abschließt nach dem letzten Kunden.

 

Wenn Türen klappen, Jogger ihre Runden

um warme Lippen drehn, die Schwüre hauchen.

Wenn Straßenbahnen rumpeln, Autos fauchen,

wenn man flaniert, mit Hüten oder Hunden.

 

Vorbei! Jetzt lauern Dealer an den Ecken,

die Pitbulls kauen Köpfe oder glotzen,

kaputte Mädchen wimmern nackt in Hecken.

 

Man hört Gezänk und später Schüsse knallen.

Die Penner pinkeln, Cocktailkranke kotzen.

Ich rauch nicht mehr, die Würfel sind gefallen.